Zum Inhalt springen

Die 2 meist „übersehenen“ EX Faktoren …

… und warum die vielen, vielen gute Dinge die Du und dein Unternehmen tun, ohne diese zwei Grundvoraussetzungen leider immer nur die „halbe Miete“ bleiben werden. Dieser Blogpost basiert auf der Podcast Folge #3/23. (Spotify Link)

Die 2 Faktoren, um die es heute gehen soll, sind die Themen (1) Entscheidungsfindung und (2) Priorisieren. Und was diese ganz wesentlichen Punkte mit einer ausgezeichneten Employee Experience zu tun haben, dem möchte ich hier auf den Grund gehen.

Wenn man sich das Employer Branding vieler Unternehmen anschaut, dann dominieren unter den Angeboten und „Marketingversprechen“ Flexibilität in den Arbeitszeiten, Sportangebote, Fitnesscenter, Wellbeing Angebote, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten und so weiter. Und das sind selbstverständlich ganz wichtige Dinge. Und das sind auch Dinge, die man aus meiner Sicht, zumindest als erfolgreiches und großes Unternehmen, heute als Standard benötigt um vorne mit dabei zu sein. Warum ist das aber nicht immer entscheidend für eine gute Employee Experience?

Weil an die Stelle dieser Angebote zwei unbedingte Notwendigkeiten treten, damit ich überhaupt den Rahmen schaffe für alles Andere, nämlich jene Themen die ich vorher genannt habe: entscheiden und priorisieren!

Aus meiner Sicht geht es darum, dass es der eigentliche Existenzgrund von Führungsteams und Unternehmensführung ist, für Ihre Mannschaft, für Ihre Kolleginnen und Kollegen, Klarheit zu schaffen und eine Richtung vorzugeben. Dazu gehören natürlich auch die Themen Vision, Mission, vor allem aber auch Strategie und die Operationalisierung dieser Strategie. Und ganz essenziell ist als eine Kernkompetenz guter, effektiver und effizienter Führungsteams, schnell und gut zu entscheiden, und richtig zu priorisieren. Denn das, was hier entschieden und priorisiert wird, ist in letzter Konsequenz dann das, mit dem alle Kolleginnen und Kollegen in ihrem Arbeitsalltag tagtäglich konfrontiert sind.

Nicht selten kommt Feedback, wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen in derselben Profession, spreche, was denn so die Themen bei ihnen sind, dass es nicht das tolle Wellnesscenter oder das fehlende Lernangebot ist, dass zum Beispiel in Mitarbeiterumfragen am stärksten hervorgehoben wird. Nein, ganz oft kommt das Thema fehlende Priorisierung und unklare oder überhaupt nicht getroffene Entscheidungen als großer Unzufriedenheitsfaktor. Und ich denke, das ist auch nicht verwunderlich. Daher gilt es für mich, unter dem Aspekt einer ausgezeichneten Employee Experience, auch oder gerade hier anzusetzen, bevor man mit den ganzen „fancy“ Tools loslegt. Und selbst angenommen, Du und dein Unternehmen haben schon diese ganzen „fancy“ Tools und Angebote, dann sollte ich zumindest von Zeit zu Zeit überlegen, ob ich auch eine gute solide Basis dafür in den Führungsteams geschaffen und langfristig verankert habe.

Entscheidungsfindung

Wie mache ich das nun ganz konkret? Gute Entscheidungen, schnelle Entscheidungen zu treffen? Ich möchte Dir hier dazu zwei Methoden vorstellen, die Du und auch dein Unternehmen kennen sollten. Zum ersten ist das (1) der integrative Entscheidungsprozess. Und zum zweiten das (2) Entscheiden im Konsent. Das sind beides Methoden, sofern Du von Ihnen noch nicht gehört hast, die auch im Zusammenhang mit agilem Arbeiten stehen. Diese Methoden haben Ihren Ursprung einerseits in der Soziokratie, wenn wir über Entscheiden im Konsent sprechen, andererseits in der Holokratie, wenn wir über Integratives Entscheiden reden.

Ich möchte zuerst die Methode „Entscheiden im Konsent“ betrachten. Diese besteht im Wesentlichen aus drei Schritten:

(1) Bildformung: Da geht es darum, Informationen zum Thema zu sammeln und jede einzelne Personen auch separat zu dem Thema zu befragen. Und wie der Titel dieses Schrittes schon sehr schön sagt, will in diesem Schritt erreichen, dass das Entscheidungsgremium ein gemeinsames Bild bekommt, worum es dann überhaupt geht, was denn hier überhaupt zur Entscheidung steht. 

(2) Meinungsbildung: Hier kann es eine oder durchaus auch mehrere Runden geben. Da frage ich mich, wie sehr hat denn das Gespräch vorher meine Meinung verändert oder beeinflusst? Gibt es hier jetzt eine Veränderung durch das, was durch andere Personen eingebracht wurde? Hat sich vielleicht die Situation verändert und hat sich dadurch meine Meinung auch zur Entscheidung verändert? Und ganz wichtig, wir reden hier von Entscheidungsgremium, das heißt ich habe auch meine Stimme, ich bin auch Entscheider oder Entscheiderin.

(3) Consent Bildung: Konsentbildung heißt, dass ich mich im Prozess vor allem auf Einwände beschränke. Also es geht nicht darum, jetzt noch das nächste Kommentar abzuliefern, warum das vielleicht doch nicht so ganz ideal ist oder seine eigenen Meinungen noch unterzubringen, seinen Status zu festigen, was auch immer. Nein, es geht darum zu sagen:

Ich bin im Konsent, wenn ich keinen schwerwiegenden Einwand mehr habe in Hinblick auf das gemeinsame Ziel oder die gemeinsame Entscheidung.

Was können nun solche schwerwiegenden Einwände sein? Zum Beispiel, wenn die Entscheidung unserem gemeinsamen Ziel entgegen geht. Und ich habe dafür auch gute Gründe und kann das auch begründen. Oder: die Entscheidung schadet vielleicht sogar unserem Team, weil ich einen Aspekt kenne aus meiner Rolle heraus, der bisher noch nicht berücksichtigt wurde. Oder: die Entscheidung könnte zu Konsequenzen führen, die wir vermeiden wollen. Und die wurden bisher noch nicht betrachtet oder gesehen. Oder aber auch: wenn wir das tun, alles schön oder gut, aber dann gibt es keine wirkliche Verbesserung, für die sich dieser Aufwand lohnt.

Und was ist dann mit allen anderen Einwänden? Dingen wie: Ich finde den Vorschlag nicht besonders toll, habe aber selber keinen besseren. Oder: klingt ganz gut, aber ich weiß nicht, ob es die beste Lösung ist. Diese kleinen Einwände werden auch dokumentiert im Protokoll, aber sie haben auf die Entscheidungen überhaupt keinen Einfluss. Das heißt, sie sind kein Showstopper und werden auch nicht weiter durchdiskutiert.

Wenn kein schwerwiegender Einwand kommt, dann ist die Entscheidung getroffen. Wenn ein schwerwiegender Einwand kommt, dann wird er beleuchtet. Idealerweise kann man das direkt im Meeting tun. Vielleicht gibt es aber auch den Auftrag, hier nochmal eine Runde zu drehen und zu schauen, was hierzu noch ausgearbeitet werden muss. (siehe auch Schritt #6 des integrativen Entscheidungsprozesses weiter unten). Und wenn es leichte Einwände gibt, dann habe ich diese jedenfalls dokumentiert, und wenn in Zukunft vielleicht so ein momentan leichter Einwand irgendwann ein schwerer wird, kann ich nachvollziehen, dass wir schon mal drüber gesprochen haben, dass es das Thema schon einmal gab..

Nun zur zweiten Methode des „integrativen Entscheidungsprozesses“ aus der Holokratie. Diese folgt im Wesentlichen dem, was wir schon bei der Consent Methode gehört haben. Allerdings ist sie etwas strukturierter, weil Sie den Prozess in mehr als 3 Schritte unterteilt. Daher ist diese Methode unter Umständen auch dann besser für dich oder dein Unternehmen geeignet, wenn Du mit dem Thema erst beginnst, weil sie dich etwas strukturierter anleitet und durch den Prozess führt. Beim integrativen Entscheidungsprozess sind es 6 Schritte, die man durchläuft:

Ganz zu Beginn kommt der (1) Vorschlag, bei dem der oder die Vorschlagende das zu lösende Thema, die Idee, den Vorschlag zur Entscheidung vorträgt.

Im zweiten Schritt werden (2) Klärungsfragen gestellt. Jeder und jede kann Klärungsfragen stellen, aber wirklich nur Klärungsfragen. Also nichts in der Art von „ich hätte da mal eine Frage,  und zwar: vor zwei Monaten haben wir das schon einmal besprochen und da habe ich das doch bereits anders gesehen …“. Hier gilt es für die Moderatorenrolle sofort zu stoppen, mit dem Hinweis, das dieses Statement keine Klärungsfrage ist. Auch hier erneut der Hinweis, wie wichtig eine klar zugewiesene Moderationsrolle in diesen Prozessen.

Was sind Klärungsfragen? Beispielsweise: „du hast angesprochen XY, was meinst du genau damit?“, oder: „du sagst, wenn wir A tun, dann kommen wir zu B. Mir ist noch nicht ganz klar, wie der Schritt dazwischen ausschaut“. Also Fragen, die sich darauf beziehen, dass ich das, was vorgeschlagen wurde, besser verstehe.

Die dritte Runde ist eine (3) Reaktionsrunde. Hier sprechen jetzt alle, denen vorgestellt wurde und der oder die die Vortragende hört nur zu. Man erkennt auch hier ein bewusstes „umdrehen“ und fokussieren im Prozess, einmal wirklich zuhören, und nicht sofort reagieren. Nicht immer spontan reinreden, sondern aktiv zuhören und Input aufnehmen.

Die vierte Runde dient der (4) Verbesserung. Nun ergänzt der Vortragende des Themas, der Entscheidungsvorlage, und passt seinen Vorschlag auf Basis dessen an, was er in der Reaktionsrunde gehört hat. Dies kann beispielsweise so aussehen: „Ich habe gehört, dass im Wesentlichen mein Vorschlag passt. Ich habe aber auch gehört, dass wir hier noch bei der Timeline ganz geringfügig anpassen sollen, damit es mit den Prioritäten des Kollegen XY besser machbar ist. Ich denke, das ist kein Problem, das übernehme ich so.“ Und macht das auch gleich direkt vor Ort.

In der Runde fünf geht es darum (5) Einwände zu sammeln. Eine/r nach dem Anderen wird jetzt aktiv vom Moderator angesprochen und kann, analog zur Consent Methode jetzt einen (leichten oder schweren) Einwand zum verbesserten Vorschlag bringen. Und auch hier zeigt sich wieder schön der Ansatz, mit diesem Prozess jene Meetings zu vermeiden, wo alle durcheinander reden, unstrukturiert Meinungen äußern, und am Ende dann kein Ergebnis steht.

Und schließlich folgt als sechster und letzter Schritt die (6) Integration. Alle Einwandbringer helfen aktiv mit, den Einwand in den Vorschlag zu integrieren. Das bedeutet, dass auch hier sehr lösungsorientiert zusammengearbeitet wird, und nicht ein Einwand den Vorschlag wegwischt, die Entscheidung verschiebt und diese vielleicht erst nach Wochen wieder zur Vorlage kommt – also Zeit verloren, nichts entschieden. Entscheidend ist auch hier das Commitment des Entscheidungsteams, die Bereitschaft, auch wenn ich einen Einwand habe, aktiv mitzuarbeiten und Möglichkeiten zu finden, wie ich diesen Einwand integrieren kann. Zum Beispiel: „ich sehe jetzt den Umfang dieses Themas, das wir machen wollen, etwas geringer, weil wir zum Beispiel in meinem Bereich schon an  einer Teillösung arbeiten. Das heißt, das würde unsere Teillösung hier kannibalisieren. Ich könnte aber anbieten, dass wir euch unsere Ergebnisse als Input geben, dass wir die integrieren und damit bei eurem Projekt den Aufwand reduzieren können, wir dafür unseren Teil verwenden können und so eine gemeinsame und schnellere Lösung schaffen“. So oder so ähnlich kann das ablaufen. 

Ja, und ganz am Schluss dieses integrativen Entscheidungsprozess steht ein angepasster Vorschlag. Und nachdem ich die Prozesse und Schritte alle gemeinsam durchgelaufen bin, also auch Klärungsfragen, Einwände, Einarbeitung der Einwände, ist das dann eben sehr oft auch gleich ein Vorschlag, der sofort abgestimmt und entschieden werden kann. Ist das immer der Fall, und einfach nur diese Methoden zu verwenden löst alle Entscheidungs- und Priorisierungsprobleme? Definitiv nein! Auch bei diesen Methoden wird es der Fall sein, dass ich noch eine Runde drehen muss, dass wirklich noch zu wenig aufbereitet ist, oder es eben einen vorher nicht bedachten schwerwiegender Einwand gibt. Dann muss ich noch mal mit meinem Projektteam zurückgehen und das einarbeiten. Aber in sehr, sehr vielen Fällen, vor allem wenn man das übt und regelmäßig macht, wird man durch diese beiden, Entscheidungsprozesse dazu kommen, dass man schneller entscheidet und auch besser entscheidet.

Wenn du diese Methoden noch nicht kanntest, dann kann ich nur empfehlen, dir das genauer anzuschauen ob das nicht auch für Dich, dein Team und dein Unternehmen etwas sein kann.

Priorisieren

Bleibt abschließend noch das Thema Priorisieren. Ich denke, wie das zusammenhängt, ist euch, die dies gerade lesen, ziemlich klar. Priorisieren heißt entscheiden. Wenn ich also einen guten, sauberen, schnellen Entscheidungsprozess habe, dann kann ich auch meine Prioritäten schnell und klar setzen. Natürlich ist das Thema Priorisieren innerhalb eines Unternehmens komplexer, als ich es hier für diese Kondensation im Blogpost herunter breche. Dazu gehört bspw. ein solider Strategieprozess, ein gut gemachter Planungs- und Budgetprozess etc. Dennoch werden Kolleginnen und Kollegen, die schnellere Entscheidungen – und damit auch Prioritäten – bekommen, das unmittelbar merken. Früher hat es zwei, drei Monate gedauert und drei Runden gebraucht. Und plötzlich schafft man das in einem Meeting oder in einer Entscheidungsrunde.

Und ich hoffe, ihr habt das auch schon mal erlebt, denn wenn ich in so einem Umfeld arbeite, wo das passiert – wo klar, schnell und eindeutig priorisiert und entschieden wird – dann arbeite ich dort viel lieber und auch produktiver, als in einem Umfeld, wo das nicht passiert und ich irrsinnig viel Reibungsverluste in Kauf nehmen muss, um zu Entscheidungen zu kommen. Damit schließt sich für mich der Kreis zwischen schnellen und guten Entscheidungen, und klarer Priorisierung, und einer ausgezeichneten Employee Experience im Unternehmen 🙂

Und für alle Anderen hoffe ich, dass es entweder ein Refresher war oder Ihr sogar sagt ja, das wenden wir bei uns so auch an. Wenn das der Fall ist, dann freue ich mich extrem, wenn Ihr mit mir Kontakt aufnehmt und ich von euch lernen kann. Wie wendet Ihr das an? Was waren die Stolpersteine? Wie gut oder wie schlecht funktioniert es? Wenn Ihr das Thema auch nach-hören wollt, geht es hier zur gleichnamigen Podcast Folge #3/23. Und abonniert gerne auch meinen Newsletter oder folgt mir auf Instagram.

Damit bleibt mir noch Euch alles Gute zu wünschen – beibt´s gesund, und bis bald!

Stefan